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Roundtable-Gespräch zum Thema "Lügenpresse"

Das Selbstverständnis stärken

18.04.2016

Vor rund 60 Zuhörern in Germersheim diskutierten (v.re.) Frank Überall (DJV-Bundesvorsitzender), Moderatorin Andrea Wohlfart (DJV-Landesvorsitzende), Lars Hennemann (Chefredakteur Darmstädter Echo), Jan Holub (ZDF), Heike Rost (Freie Journalistin) und Hartmut Rodenwoldt (Rheinpfalz) über den Umgang mit Schmähkritik. Fotos: Björn Kray Iversen

Haltung zeigen, Fehler zugeben, Informationen sorgfältig recherchieren - so sieht das Konzept aus, mit dem die Journalisten der zunehmenden Schmähkritik begegnen können. Zu diesem Ergebnis kommt eine Diskussionsrunde, zu der der Deutsche Journalistenverband (DJV) Rheinland-Pfalz ins Deutsche Straßenmuseum in der Festung Germersheim eingeladen hatte.

 

Seit etwa anderthalb Jahren hören Journalisten in Deutschland immer wieder den Vorwurf „Lügenpresse“. Wie hat das ihre Arbeit verändert? Wie sollen sie der Schmähkritik begegnen? Diesen Fragen gingen fünf Medienprofis unter der Moderation von Andrea Wohlfart, Vorsitzende des DJV Rheinland-Pfalz, nach. Rund 60 Zuhörer erlebten eine offene und selbstkritische Diskussion. Zuweilen bedrohliche Töne„Manchmal komme ich mir vor wie ein Sozialarbeiter“, berichtete Lars Hennemann davon, dass der Ton rauer geworden sei, wenn sich Leser bei der Zeitung meldeten. Nicht selten hört der Chefredakteur des „Darmstädter Echo“ Beschimpfungen gegen ihn, seine Kollegen oder „die Presse“ ganz allgemein. Manchmal sind es ganze Verschwörungstheorien. Bei Lesern und Zuschauern nehme die Aggression zu und die Bereitschaft ab, die eigene Überzeugung kritisch zu hinterfragen. „Sie halten nur noch das für ausgewogen und wahr, was sie auch vor der Berichterstattung schon für wahr hielten“, bedauerte Hennemann.Auch Jan Holub, der sich beim ZDF in Mainz mit Programmbeschwerden befasst, und die freiberufliche Journalistin Heike Rost, die im Deutschen Presserat sitzt, berichteten übereinstimmend, dass Leser- und Zuschauerbeschwerden ein nicht gekanntes Ausmaß erreicht hätten. Der Ton, in dem sie vorgebracht werden, sei oft alles andere höflich, zuweilen gar bedrohlich. Besonders die Pegida-Bewegung spricht gern von „Lügenpresse“, wenn es um etablierte Medien geht. Hartmut Rodenwoldt, der das Berliner Büro der RHEINPFALZ leitet und Pegida von Anfang an begleitet, räumte ein, die Medien hätten bei ihrer Berichterstattung über Pegida Fehler gemacht. Viele der Bürger, die anfangs etwa zu den Demonstrationen in Dresden strömten, seien von Journalisten in die rechte Ecke gestellt worden. „Von unserer Seite ist da viel zu wenig differenziert worden“, sprach er für die Zunft. Fehler öffentlich einzugestehen, sei wichtig für die Glaubwürdigkeit, betonte Jan Holub.
Ruft der Kern der Pegida-Bewegung „Lügenpresse“, geschehe das nicht, um Kritik an den Medien zu üben, „um zu sagen, wir sollen besser werden und bessere Qualität liefern“. Vielmehr wollten sie der Masse sagen „Nehmt die Zeitung nicht mehr in die Hand“, um „die Leute dann über ihre eigenen Kanäle zu beeinflussen“, erklärte Rodenwoldt. Es sei erschreckend, wenn Menschen im Internet Verbreitetes allzu schnell als wahr akzeptierten, ohne hinzuschauen, wer die Nachricht verbreitet und welche Interessen er verfolgt, ergänzte Fotografin Heike Rost. Medienkompetenz schulenFrank Überall, der dem gesamten Deutschen Journalisten-Verband und damit mehr als 30.000 Journalisten vorsteht, nannte Möglichkeiten, um auf Vorwürfe wie „Lügenpresse“ zu reagieren. Es gelte, Vertrauen zurückzugewinnen und den Menschen bewusst zu machen, „was wir für die Demokratie tun“. Man müsse den Vorwürfen „mit journalistischem Handwerk“ begegnen – doch ausgewogener und gut gemachter Journalismus sei „nicht zum Nulltarif zu haben“, betonte Überall. Zudem müsse man die Medienkompetenz schulen. Der DJV wolle demnächst mit Zeitungs-Chefredakteuren auf Schüler und Studenten zugehen, um mit ihnen zu diskutieren.Gegenüber der Politik und Polizei muss deutlich gemacht werden, in welchem Ausmaß Journalisten heutzutage angegangen und bedroht werden. „Vor 20 Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, dass es mal so gefährlich sein würde, seinen Job auszuüben“, sagte Überall. Er berichtete von verbalen, aber auch tätlichen Angriffen auf Kollegen – einerseits im Internet, aber auch auf der Straße.
Heike Rost sprach von einer „großen Professionalisierung der Hasstiraden“. Während sich Beschimpfer einst versteckten, träten sie jetzt mit Klarnamen auf. Rost rief im Sinne der Glaubwürdigkeit die Kollegen auf, Informationen und Bilder sorgfältig zu prüfen, ehe sie sie weiterverbreiten. Es gelte zudem „rauszugehen, wann immer es die Zeit erlaubt“, um sich selbst ein Bild zu machen, sagte Heinemann. Journalisten erleben derzeit große Herausforderungen, aber es ist auch eine spannende Zeit. Der Beruf sei für junge Menschen nach wie vor attraktiv, war sich die Mehrheit der Journalisten auf dem Podium einig. „Professioneller Journalismus ist wichtiger, als er jemals war“, sagte Hennemann. Doch müssten sich Journalisten auch eine Haltung erarbeiten, ergänzte Rost – und das sei nicht ganz leicht.
Steffi Blinn

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